
Die dritte Woche am Generalkapitel
Turin-Valdocco, den 09.03.2025
Liebe Mitbrüder, liebe Don-Bosco-Familie,
aus Turin-Valdocco sende ich mit diesem Wochenbericht sehr herzliche Grüße und möchte Sie und Euch ein wenig hineinnehmen, was in dieser dritten Woche bei uns auf dem Generalkapitel geschehen ist.
„Wo kommst Du her?“, „Wo arbeitest Du und was sind dort Deine Aufgaben?“, „Wie viele Salesianer leben in Deiner Provinz, wie viele Mitarbeitenden sind bei Euch aktiv?“ Das sind die häufigsten Fragen, die ich vor allem in den zeitlichen Zwischenräumen des Generalkapitels zu hören bekomme. Nun geht die dritte Woche hier in Valdocco zu Ende und man merkt, dass die Fragen intensiver werden und mehr und mehr auch die Inhalte unseres Arbeitens berühren. Nach der Möglichkeit, sich kennen zu lernen, stellt sich nun langsam eine echte Gemeinschaft ein, die es ermöglicht, miteinander auch ganz andere Herausforderungen und The-men in den Blick zu nehmen. Vor allem die Wege von unserer Unterkunft zum Tagungsraum und zurück sind Orte dieser Nachfragen. Was dabei sehr deutlich wird: Jeder Teilnehmer ist bemüht zu verstehen, wer mit ihm auf dem Weg geht (sowohl sichtbar zum Hotel als auch übertragen auf dem Weg des Kapitels) und wo der andere hingehen möchte.
Methodenwechsel
So war es nicht sehr verwunderlich, dass diese Art, miteinander zu gehen, sich auch auf die Arbeitsat-mosphäre selbst auswirkt. Neben der „Methode des Tischwechsels“ bei jeder Mahlzeit, um mit möglichst vielen Kapitularen ins Gespräch zu kommen, kam dann am Ende der letzten Woche mehr und mehr der Wunsch auf, auch die Arbeitsweise des Generalkapitels zu ändern. Im Gegensatz zu den letzten Versamm-lungen wurde in diesem 29. Kapitel bereits auf eine juristische Kommission verzichtet, um möglichst viele kleinere Gruppen bilden zu können. Schon dies war ein erster Versuch, die Stimmen aller Kapitulare zu hören. Die Erfahrung, gemeinsam auf dem Weg zu sein, führte dann aber zu einer neuen Dimension des Zuhörens. In starker Anlehnung an die sogenannte synodale Arbeitsweise wurden die einzelnen Sprachkommissionen aufgebrochen und in jeweils fünf bis sechs „Tische“ unterteilt. An jedem dieser Tische sitzen nun sechs bis sieben Kapitulare und beraten die dem Generalkapitel anvertrauten Themen. Diese Erfahrung, intensiv zu-zuhören und der Wirkung des Gehörten nachzuspüren, war eine große Umstellung für den Prozess des Kapi-tels. Auch wenn manche Provinz weltweit schon auf ähnliche Weise arbeitet und sich berät - auch die öster-reichische und die deutsche Provinz -, so ist es in anderen Teilen der Welt doch eher noch üblich, Entschei-dungen durch Vortrag, Diskussion und Abstimmung herbeizuführen. Die Meinung unter den Kapitularen ist aber eindeutig: „Der Methodenwechsel ist für unsere Beratungen nur förderlich!“
Themenwechsel
Die dritte Woche brachte darüber hinaus auch einen Themenwechsel mit sich. Auch wenn das Hauptthema des Generalkapitels selbstverständlich nicht geändert wird, so stand in dieser dritten Woche besonders die Frage nach dem spirituellen und gemeinschaftlichen Leben der Salesianer im Focus. Nach einer Woche der Berichte und Rückfragen zur Situation der Kongregation und der einzelnen Regionen weltweit wurde es nun
persönlicher und greifbarer. Die aus den einzelnen Provinzkapiteln eingesandten Antworten auf die Grund-frage nach einem gelingenden Leben als Salesianer wurden in einer kompakten Form studiert, aufgegriffen und entsprechend betrachtet. Dabei standen immer, erleichtert durch den benannten Methodenwechsel, besonders die persönlichen Erfahrungen und Sichtweisen im Vordergrund. Hinhören, verstehen und auf sich wirken lassen – so wurde Themenbereich für Themenbereich durchdacht. Um dieses Vorgehen zu erleich-tern, wurde für jeden der insgesamt 32 Tische ein „facilitatore“, ein „Vereinfacher“ gewählt, der auch beson-ders geschult wurde. Aufgabe dieser Begleiter ist es, die Tischgespräche zu moderieren und gleichzeitig da-rauf zu achten, dass Hinhören und Gehört-Werden in einem Gleichgewicht stehen. Schließlich tragen die „Vereinfacher“ auch die geteilten Ideen und Visionen zusammen und arbeiten so Synthesen heraus, die dann von den Kapitularen diskutiert werden können. Die Erfahrungen sind sehr gut und haben schnell so manchen Vorbehalt in den Wind geschlagen. Jeder kommt zu Wort, weil jeder Redezeit hat. Die Garantie, gehört zu werden, motiviert gleichzeitig zu gut überlegten und vorbereiteten Beiträgen.
Geteilte Sorge
In diese Euphorie der geteilten Ideen und Visionen mischte sich in dieser Woche aber auch eine geteilte Sorge. Aktualisierte Nachrichten aus der Gemelli-Klinik in Rom über den Gesundheitszustand des Papstes machen täglich die Runde. Sorge bereitet aber besonders auch die Verschärfung von so vielen Konfliktherden in der Welt in einer Woche. Die Gewalttaten in Myanmar sind unerträglich, im Kongo verschärft sich die Lage der dortigen Rebellenkämpfe, und die Mitbrüder aus den dortigen Provinzen berichten über Ängste und Sor-gen. Ähnliches gilt auch für die Situation in Haiti: Niemand kann genau sagen, ob sich die Situation dort jemals verbessern wird. Klar ist aber, dass in dieser dritten Woche des Generalkapitels die Spannungen dort vor Ort nochmals zugenommen haben. Von vielen stark diskutiert wird auch die aktuelle Art und Weise, mit der die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika mit Werten des Vertrauens und der Zusammenarbeit spielt und dabei die Sicherheit von Ländern und auch Europas aufs Spiel setzt. Besonders oft sieht man Kapitulare neben der Don-Bosco-Statue in Valdocco mit dem Provinzial der Salesianer in der Ukraine sprechen. Es war ein wichtiges Zeichen, dass am Tag nach dem „Eklat im Weißen Haus“ Pater Mykhaylo Chaban den Gottes-dienst mit allen Kapitularen feierte. Seine Bitte um das Gebet für alle Krisenregionen der Welt (es werden gerade weltweit 72 Kriege gezählt) und besonders für die Ukraine wurde in der Maria-Hilf-Basilika mit gro-ßem Applaus beantwortet. Sicherlich war dies ein sicht- und hörbares wichtiges Zeichen geteilter Sorge auf dem Generalkapitel.
Geteilte Freude
Aber auch die geteilte Freude sollte in dieser Woche nicht fehlen. Nach einem erholsamen Sonntag, den viele Kapitulare außerhalb von Turin verbrachten, konnte dann Montag und Dienstag auch ein wenig Faschingsluft durch Valdocco wehen. Der Provinzial der französisch-belgischen Provinz, P. Daniel Federspiel, ließ sprich-wörtlich „die Puppen tanzen“ und bezauberte wie auch schon auf anderen Generalkapiteln mit seiner Mari-onette Bagatelle junge Pilger und Kapitulare gleichermaßen. Die Küche überraschte die Teilnehmer des Ka-pitels am Faschingsdienstag mit einem Faschingsmenü und passend dekoriertem Speisesaal. Viele Sprach-gruppen ließen sich ermutigen, eigene, meist karnevalistische Gesänge aufzuführen. Der Abschluss wurde in der Runde der Region Europa-Centro-Nord (ECN) mit polnischer Wurst, Williamsgeist aus dem Schwarzwald, kroatischem Käse, slowenischem Käse, schottischem Whisky und Manner Schnitten aus Wien begangen. Das war ein echter Abend geteilter Freude!
Geteilte Spiritualität
Ein Generalkapitel ist aber nur die Hälfte wert, wenn es nicht auch geistlich und spirituell die Teilnehmer zusammenbringt. Die täglichen morgendlichen Gebete in den Sprachgruppen und das abendliche Vesperge-bet in der Kapitelsaula sind die Grundpfeiler dieser geteilten Spiritualität. Besonders der Aschermittwoch und die gemeinsam begonnene Fastenzeit sprachen eine tiefere Dimension in einem jeden Kapitular an. Momente der Meditation und der Stille während der einzelnen Arbeitsphasen und zu Beginn der neuen The-menstellungen ermöglichen es innezuhalten und nicht der Gefahr zu unterliegen, durch die einzelnen The-men zu hetzen. Die oft straffen Arbeitsprozesse werden so sinnvoll und sinnstiftend unterbrochen.
Geteilte Herausforderungen
Das Generalkapitel nimmt Fahrt auf, inhaltlich und auch in der Art und Weise, wie die Teilnehmer miteinan-der auf dem Weg sind. Da bleiben auch Herausforderungen nicht aus. Gut ist es, wenn sich diese nur auf die schnell überwundenen technischen Hürden bei den Abstimmungen mit den digitalen Geräten (das Kapitel kommt nahezu ohne Papier aus) beziehen, auf die Frage, ob Basketball oder Fußball in den Pausen gespielt wird, oder auf unterschiedliche Sichtweisen in der Umsetzung von ökologischen Zielen und der Verwendung von Wegwerfgeschirr in den Kaffeepausen. Spürbar wird langsam aber auch die Herausforderung, die vielen Texte und Eingaben zu lesen, zu hören und zu verstehen, was der andere sagen will, und dabei noch eine gemeinsame Sprachebenen zu finden.
Nach wunderbaren frühlingshaften Tagen im Piemont mit dem Gezwitscher von vielen fröhlichen Spatzen in der Frühe wünsche ich allen an diesem Sonntagnachmittag, auch im Namen der anderen Kapitelteilneh-mer aus dem deutschsprachigen Raum – Provinzial P. Siegfried Kettner, Generalökonom Br. Jean-Paul Mül-ler, Provinzial P. Reinhard Gesing und dem Delegierten P. Peter Rinderer, eine gute Zeit und eine fruchtbare erste Woche der Fastenzeit. Wir werden den Abend dieses ersten Fastensonntages gemeinsam in einer Piz-zeria verbringen und stoßen dann auf das Wohl der Don-Bosco-Familie in der österreichischen und der deutschen Provinz an!
P. Simon Härting
Delegierter GK29