
Bericht vom 29. Generalkapitel in Turin
Turin-Valdocco, den 22.02.2025
Liebe Mitbrüder, liebe Don-Bosco-Familie,
wie schon bei den letzten Kapiteln so wollen wir euch auch von diesem Generalkapitel am Ende jeder Woche einen Bericht aus der deutschsprachigen Gruppe der Kapitulare zukommen lassen. Wir, das sind für die österreichische Provinz P. Siegfried M. Kettner (Provinzial) und P. Peter Rinderer (Delegierter) und für die deutsche Provinz P. Simon Härting (Delegierter) und ich. Dabei werden wir immer auch aus der Vielfalt der Begegnungen und Elemente auswählen müssen.
Erfahrung von Pfingsten
Wie wir vier sind auch die meisten anderen Kapitulare am Samstag, den 15.2. in Turin-Valdocco eingetroffen. Insgesamt nehmen 227 Kapitulare aus 93 Provinzen, welche sich über 134 Länder erstrecken, am Kapitel teil; darüber hinaus haben eine Reihe von Mitbrüdern und Mitarbeitern verschiedene unterstützende Aufgaben und Funktionen, ohne die das Kapitel nicht möglich wäre: Übersetzung, liturgische Animation, organisatorische Aufgaben, Technik, Fotografieren, Öffentlichkeitsarbeit etc. So kommen wir auf insgesamt 272 Personen. Viele Mitbrüder sind in Valdocco untergebracht, viele aber auch in zwei nahegelegenen Hotels. (Im Hotel am Flughafen muss diesmal niemand übernachten, worüber alle froh sind, die dies beim letzten Mal erlebt haben.)
Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie gut und reibungslos solche Großereignisse organisiert werden. So war eben auch für vieles Praktische gesorgt: Rucksack mit Trinkflasche, Namensschild, Tablet mit Cloud und Übersetzungsprogramm etc. Und die Priester wurden mit einer sehr schönen gewebten, zugleich aber auch schlichten weißen Stola ausgestattet, die auf der linken Seite das Professkreuz mit dem Guten Hirten trägt – sicherlich ein bewusster Hinweis auf das oben zitierte Thema des Kapitels!
In den ersten Tagen war es für mich sehr bewegend, so viele Mitbrüder zu treffen, die aus der ganzen Welt zusammengekommen sind, um für die nächsten zwei Monate als „Pilger der Hoffnung“ eine geistliche Weggemeinschaft zu bilden. Da ich die Ehre habe, nun schon zum dritten Mal an einem Generalkapitel teilnehmen zu dürfen, konnte ich viele Bekannte wiedertreffen, die schon vor 11 oder vor 5 Jahren mit dabei waren und mit denen ich verschiedene Erinnerungen an die besonderen Momente der damaligen Kapitel austauschen konnte. Immer wieder wurde ich nach den früheren Kapitularen aus Deutschland gefragt. Aber natürlich gibt es auch viele neue Gesichter und es ist bereichernd, so viele neue Mitbrüder kennenlernen zu dürfen. Obwohl es ein großes Sprachengewirr gibt, so findet sich immer schnell eine gemeinsame Sprache, wobei Italienisch, Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch wohl am meisten gesprochen werden. Dies sind übrigens auch die fünf offiziellen Sprachen des Kapitels, in denen im Plenum gesprochen werden kann und für die es Übersetzungen gibt. Vor allem aber wird, so mein Gefühl, die Sprache des Herzens gesprochen, denn immer mehr wächst ein brüderliches und familiäres Klima unter den Kapitularen.
Eröffnung
Am Sonntag wurde das 29. Generalkapitel mit einer sehr festlichen Eucharistiefeier eröffnet. Diese begann mit einem Eröffnungsgebet im Hof und der feierlichen Einzugsprozession in die Maria-Hilf-Basilika, bei der wir uns ganz konkret als „Pilger der Hoffnung“ erfahren durften. Der Messe stand der Turiner Erzbischof Robert Kardinal Repole vor. Dieser rief uns mit Blick auf das Evangelium vom letzten Sonntag (Lk 6, 17.20–226) dazu auf, nicht bei organisatorischen Fragen stehenzubleiben, sondern die heutige Welt mit dem Blick Christi anzuschauen, Ungerechtigkeit und Unterdrückung beim Namen zu nennen und mit der Kraft Christi überwinden zu helfen.
In der anschließenden Eröffnungsfeier im Theatersaal „Don Bosco“ wandte sich zuerst der Vikar des Generaloberen, Don Stefano Martoglio, an die Kapitulare. Er ist bis zur Wahl des neuen Generaloberen der Vorsitzende der Kapitelsversammlung. Er begründete noch einmal auf der Basis des Einberufungsschreibens vom 24.9.2023 die Auswahl des Themas des Kapitels und legte dessen Ziele dar. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen betonte er, dass es die Aufgabe des Kapitels sei, die Kongregation auf allen Ebenen weiterzuentwickeln. Angesichts der wachsenden Formen von Armut sieht er uns ganz im Geist von Papst Franziskus zu einer neuen „authentischen Prophetie“ herausgefordert.
Es folgte ein Grußwort des Turiner Bürgermeisters Dr. Stefano Lo Russo, der seine Hoffnung zum Ausdruck brachte, dass das Kapitel auch Hinweise gebe, die für die Gesellschaft hilfreich seien.
Sr. Simona Brambilla, der neu ernannten Präfektin des Dikasteriums für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens, war es in ihrem Grußwort ein Anliegen, ausgehend vom Emmausevangelium, das Kapitel in die Kunst der geistlichen Unterscheidung einzuführen. Wie es der auferstandene Jesus auf dem Weg nach Emmaus modellhaft praktizierte und wie es nach seinem Beispiel auch bei den jüngsten Synoden auf fruchtbare Weise angewandt wurde, so empfahl Sr. Simona dem Kapitel, sich im Dreischritt der geistlichen Unterscheidung zu üben: geduldiges ZUHÖREN – DEUTUNG der geteilten Erfahrungen im Licht der Hl. Schrift – WAHL der Schritte.
Ein schönes Zeichen der familiären Zusammengehörigkeit in der Don-Bosco-Familie war auch die Anwesenheit der Generaloberin der Don-Bosco-Schwestern, Madre Chiara Cazzuola, die ich wie immer als sehr zugewandt erfahren habe. Sie erinnerte die Kapitulare an die gemeinsame Verantwortung für das Charisma Don Boscos. Der Weltkoordinator der Salesianischen Mitarbeiter Don Boscos, H. Antonio Boccia, rief in seinem Grußwort die Salesianer dazu auf, „Mystiker im Geist, Propheten der Brüderlichkeit, Diener der Jugend“ zu sein, und bezog sich damit auch auf das 27. Generalkapitel.
Als letzter trat der Regulator, Don Alphonse Owoudou, ans Rednerpult, der, gefolgt vom Applaus aller An-wesenden, das 29. Generalkapitel offiziell für eröffnet erklärte.
Exerzitien: 17.-19.02.2025
Bevor das Kapitel seine Arbeit aufnahm, waren alle Kapitulare zu einem dreitägigen gemeinsamen Weg der geistlichen Erneuerung eingeladen, der vom emeritierten Generaloberen Don Pascual Chávez Villanueva animiert wurde. In seinen sechs sehr dichten und tiefspirituellen Vorträgen legte er das Leitwort des Generalkapitels aus und bezog es im Licht zentraler Konstitutionen auf die heutigen Herausforderungen für das salesianische Ordensleben und unsere Sendung zur Jugend. Sein Anliegen umriss Don Pascual gleich zu Beginn mit den Worten: „Liebe Mitbrüder, ich habe als Thema unserer Exerzitien die Perspektive der Mystik unseres salesianischen Lebens gewählt. Hier findet man den apostolischen Lebensentwurf Don Boscos, den uns anzueignen wir eingeladen sind; hier ist unsere ganze charismatische Identität gegenwärtig.“ In den folgenden Vorträgen arbeitete Don Pascual auf sehr lebendige und engagierte Weise die mystische Dimension unserer Sendung zur Jugend heraus, unseres gemeinschaftlichen Lebens, der Nachfolge Christi nach den evangelischen Räten sowie unseres Gebetslebens. Einmal mehr unterstrich Don Pascual seine Reflexionen mit dem berühmten Wort von Karl Rahner (1965): „Der Fromme von morgen wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein.“ So hat uns Don Pascual viele Impulse für die kommenden Wochen auf den Weg mitgegeben, die es noch zu „verdauen“ und fruchtbar zu machen gilt. Eine Art zusammenfassendes Interview mit Don Pascual (jedoch in Italienisch) findet sich bei Youtube.
Wallfahrt zum Colle und nach Chieri am 20.2.
Der Donnerstag rundete die geistlichen Tage ab mit der Wallfahrt zum Geburtsort Don Boscos nach Becchi sowie zu seinem Ausbildungsort Chieri. Für viele von uns sind das vertraute Orte, weil wir sie aufgrund der Nähe leicht erreichen können. Nicht wenige Mitbrüder aus der ganzen Welt waren aber zum ersten Mal dort, so dass sie sich vom genius loci in besonderer Weise ansprechen lassen konnten. Im Vordergrund der Besuche an den Orten Don Boscos stand nicht nur, Tuchfühlung mit den Gründungsgestalten des Don-Bosco-Werkes aufzunehmen, sondern sich auch in den Anliegen des Generalkapitels von deren Verankerung in der Geschichte Don Boscos inspirieren zu lassen. Eindrucksvoll war es für viele Teilnehmer, den gemeinsamen Wallfahrtstag am späten Nachmittag mit dem Marienweihegebet vor der Madonna delle Grazie im Dom von Chieri abzuschließen, wo auch der junge Johannes Bosco immer wieder für seine Berufung gebetet hatte.
Regularien
An den letzten beiden Tagen dieser Woche, Freitag und Samstag (auch ein voller Arbeitstag!), standen praktische Fragen auf dem Programm. Es gab die nötige Einführung in die Nutzung des Tablets, das alle Kapitulare zu Beginn bekommen hatten. Wir sind hier voll digitalisiert, was die gemeinsame Arbeit tatsächlich sehr erleichtert. Über das Tablet sind die zu besprechenden Texte zu finden, man kann sich mit den Übersetzern verbinden und schriftliche Beiträge einreichen; und auch die Abstimmungen finden online statt, was wirklich viel Zeit spart. Wichtige Schritte waren an den beiden Tagen die Bildung der Arbeitskommissionen (insgesamt sechs mit je 30-40 Mitgliedern), die Wahlen der Moderatoren sowie der Verantwortlichen der Kommissionen und vor allem auch die Diskussion und die Verabschiedung der Satzung, auf deren Basis die Arbeit stattfindet. So ist am Ende der Woche die Basis für die inhaltliche Arbeit gelegt.
Geist von Valdocco
Insgesamt ist es in der jüngeren Geschichte zum zweiten Mal in Folge so, dass das Kapitel in Turin-Valdocco tagt. Dies hatte ganz praktische Gründe: In Rom war es angesichts des Heiligen Jahres 2025 nicht möglich, für solch eine lange Zeit für so viele Teilnehmer Quartiere zu bekommen. Ein anderer Tagungsort in der Welt erwies sich vorab wegen der zu erwartenden Schwierigkeiten für Visa ebenfalls als unrealistisch. So entschied man sich auch diesmal für Valdocco als Tagungsort. Dies ist insofern vorteilhaft, als dass hier ja schon viele nötige Strukturen geschaffen worden sind (z.B. mehr Gästezimmer, Tagungsräume, Theatersaal für Plenum, Kapellen, großer Speisesaal unter der Basilika). Vor allem aber „spricht“ hier, am Ursprungsort des Charismas Don Boscos, viel von der Geschichte und den Ursprungsideen Don Boscos, was uns, wie ich hoffe, auch für die Gegenwart und die Zukunft inspirieren kann.
Schluss
Aus Valdocco grüße ich euch alle, auch im Namen von P. Siegfried M. Kettner, P. Peter Rinderer und P. Si-mon Härting, sehr herzlich. Wir bitten euch, das Kapitel durch euer fürbittendes Gebet zu begleiten. Wer es täglich inhaltlich verfolgen will, kann dies auf www.infoans.org tun.
Mit herzlichen Grüßen, im Gebet verbunden
P. Reinhard Gesing
Provinzial der Provinz Deutschland